Von Herz zu Herz

oder die Tragik einer therapierten Gesellschaft

 

Die Tragik einer therapierten Gesellschaft oder knapp vorbei ist auch daneben.

Denn nur jenseits von Richtig und Falsch, liegt der Raum, in dem wir uns berühren können …  (ähnlich dem Zitat von Rumi, einem persischen Dichter)

Doch wie kommen wir darauf, das zu behaupten und ist eine therapierte Gesellschaft nicht eher wünschenswert? Ja und nein. Wenn psychologisch-reflektorische Interventionen nur auf der Ebene des anhaftenden Egos bleiben, werden sie uns nicht in die Vorzüge einer sich selbst reflektierenden Gesellschaft führen können. Wir werden nicht in die Lage kommen eine Welt zu schaffen, in der das Eingelassensein in eine Weltengemeinschaft stattfinden kann, eine Welt, in der wir ein lebendiges, dynamisches Miteinander praktizieren können.

Wir haben in unserer langjährigen Arbeit durch das Werkzeug der Schweigekurse erkannt, dass es jetzt für uns als Gesellschaft ansteht, im mitfühlenden Herzen anzukommen. Es geht nun darum, den schmerzhaften Ablösungsprozess von einem sehr hartnäckigen EGO zu durchstehen. Nur mit dieser Selbst-Aufgabe erlangen wir in die neue Ebene eines Wir-Selbst. Also einem Ich im Wir. In diesem Wir-Selbst, sind wir uns unseres Selbst sehr bewusst und auch, dass wir nur in einem WIR weiter wachsen können. Und genau das wollen wir auch. Auf jeden Fall sind wir in diesem Wir aufgehoben, eigenverantwortlich, unabhängig-anhängig. Wir schwingen miteinander, jeder ist für sich allein und doch im Miteinander. Jeder wird ein existenzieller Bestandteil dieses WIR und ist stets bedacht und sensibilisiert für die Belange des JETZT.

Doch wie kommen wir aus der EGO-Falle heraus? Es gibt nur einen einzigen Raum und nennen wir ihn ab hier einen direkten Erfahrensraum, in dem das EGO = persönlicher Verstand, keinen Eintritt hat. Das ist der Raum, der entsteht, sobald Herz, Bauch, Lunge und Hirn eine Symbiose eingehen. So ist es für uns die Arbeit mit dem unbarmherzigen Herzen, der Schlüssel zur Liebe und Barmherzigkeit.

Am offenen Herzen arbeiten

Unsere Arbeit wird unter anderem auch als Herzöffnung beschrieben. Sobald die Teilnehmenden den Unterschied zwischen dem persönlichen und dem universellen Herzen erfahren können, kommen solche Aussagen zustande. Sie sprechen selbst von einer „Herzöffnung“, die Sie tatsächlich spüren konnten. Häufig auch körperlich wahrnehmbar als ein kurzer Schmerz, ein enormer Druck, ein Ziehen, ein Stich. Auf jeden Fall eine tatsächlich wahrnehmbare Entlastung und deutliche Erweiterung des Brust- und Herzraumes. Da wir den Unterschied zwischen diesem dann „alloffenen Herzen“ und dem verletzten, persönlichen Herzen zu Beginn der Meditationspraxis noch nicht kennen, machen wir in unserem Alltag keinerlei Unterscheidung.

Doch nur das übergeordnete alloffene Herz verbindet uns miteinander, hingegen ist das beladene persönliche Herz ein Trenner. Und zwar trennt es nicht nur von Mensch zu Mensch, sondern es trennt uns auch von uns SELSBT. Es ist vollgestopft mit Verletzungen, Glaubenssätzen und einer unendlichen Flut an Vorurteilen, Verurteilungen und Vorstellungen, die uns ununterbrochen in einer Form von Fremdheit und Abgrenzung leben lässt.

Und dabei wird unser Herz mit den Jahren kalt, krank und leblos. Zwar schlägt es tapfer und erfüllt somit seine durchaus komplexen, technisch organischen Aufgaben, doch ein warmes und mitfühlendes Herz, geht weit darüber hinaus: es ist empfindsam, lebendig und lebensfroh. Es ist ein Herz, das sozusagen vor Freude hüpft – und daran erinnern wir uns doch noch! Dieses unbeschwerte und leichte Gefühl im Herzen, als würde es überschäumen vor Glück, haben wir nicht vergessen! Und diese Erinnerung löst in jedem von uns Sehnsüchte aus. Sehnsüchte, die so manche Stilblüten sichtbar machen.

Die Suche nach dem Glück

Ist es nicht geradewegs abstrus, was alles so zum Glück zu gehören hat oder was alles angeblich noch fehlt, um dieses Glückselige erleben zu können? Die Suche danach zieht uns magisch an und treibt uns sehnsüchtig vor sich her. Gerade heute, in Zeiten eines definitiv hohen Lebensstandards, lassen wir nichts aus, um dieses Gefühl wiederzuerlangen. Rennen dem Glück nach, wollen es besitzen, erlangen und vor allem wollen wir es auch kontrollieren. Und manchmal, und meist in extremen Lebenssituationen, kommen wir dann doch irgendwie mit diesem Lebensglück in Berührung. Eine große Liebe, ein überraschendes Geschenk, eine überwundene Krankheit, die Geburt eines Kindes, der Verlust eines geliebten Menschen oder eine lebensbedrohliche Situation, schaffen eine Berührung der besonderen Art in uns. Augenblicklich wissen wir, wie sich das Leben anfühlen kann und wir erkennen vielleicht zum ersten Mal ganz bewusst, was dieses Leben ist.

In unserem ganz normalen und unaufgeregten Alltagsgeschehen ist das Leben kaum noch erfahrbar. Wir sind ständig in Gedanken, die Anforderungen in und an uns sind hoch, die Welt um uns herum ist laut und grell. Wir werden taub, blind und kalt. Vor allem auch dann, wenn es um das Ende unseres Lebens geht. Dieses Ende schieben wir weit von uns weg. Irgendwann schon, aber jetzt noch nicht, ist unsere Devise. Es gibt keinen Gesprächsraum in unserer oberflächlichen Gesellschaft. Doch auch dann, wenn wir versuchen unser Sterben und den Tod ernst zunehmen und damit beginnen uns in die Räume der Philosophie, Theologie und Wissenschaft zu begeben, landen wir häufig doch wieder in der Oberflächlichkeit eines Mainstreams.

Und doch rührt sich etwas in uns. Etwas, das erfahren will, was das Leben ist und wie wir uns wieder spüren und erfühlen können. So beginnen wir uns auf den Weg zu manchen, dieses Etwas in uns zu finden, das unsere Lebendigkeit und Lebensfreude wieder auferstehen lässt. Die wachsenden Unzufriedenheiten, vermehrtes Krankheitsgeschehen und viele andere Dinge, die den Fluss unseres Lebens stören, arbeiten destruktiv in uns. So werden wir mit den Jahren immer unleidlicher und geben dem Leben und seinen Umständen, die Schuld für alle Erscheinungen unserer Unausstehlichkeiten. Wir beginnen alles und jeden zu therapieren und laufen anschließend blinder als zuvor durch diese Welt.

Was kommt nach der Therapie?

Nach so mancher Therapie oder Odyssee des Lebens, beginnen wir beherzt damit, unsere Herzen zu befreien und über das persönliche Herz hinauszuwachsen. Im Laufe der Zeit lernen wir die Räume jenseits der Verletzungen des persönlichen Herzens kennen und erfahren in ihnen jene Unbegrenztheit und das Unbeschwerte, das uns lebensfroh und lebensbejahend werden lässt.

Wir werden entlastet. Erst durch die Entlastung entsteht ein Raum, ein Platz für Mitgefühl und Verbindung. Verbindung zu uns, zu Anderen und zum Leben SELBST.

Alle unsere Verletzungen werden in diesem Herzen bleiben, sie werden gesehen und beweint und wir dürfen weit über sie hinauswachsen. Allerdings erlauben wir ihnen nicht mehr mit ihrer Destruktivität unser Leben zu beschweren, sondern wir laden sie ein, mit uns weiterzuwachsen. Sie wachsen und gedeihen zu Liebe, Mitgefühl und geistig-körperlicher Wärme.

Von daher sehen wir keinen Gewinn mehr darin, sich ständig einer verletzenden Selbsthypnose, auszusetzen. Denn das ständige Wiederholen der eigenen Leidensgeschichte hindert uns daran, die Räume des freien Herzens zu empfinden. Vielmehr verhärten wir und können somit nie wirklich erfahren, dass das wahre Herz völlig unbeschädigt und vollkommen frei ist. Das persönliche Herz ist vielleicht nachtragend und will nicht vergessen, doch auch hier können wir mit der Zeit langsam erkennen, das es nicht das Herz ist, was sich erinnert, sondern der Verstand. Er ist es, der unversöhnlich scheint und der sich nach Rache und Mitleid sehnt.

Das Herz hingegen, ist allezeit bereit auf Liebe, Wärme und Mitgefühl zu reagieren – so wie wir einem kleinen Kind, das uns herausfordert, fast alles verzeihen. Sobald es uns aus seinem kleinen Herzen und mit ganzem Sein anlächelt, können wir erkennen, dass es der Verstand mit all seinen Vorstellungen ist, der keinen Kontakt zu unserem Herzen hat.

Ab hier ist es höchste Zeit, sich der Beschränktheit des Verstandes gewahr zu werden, damit wir erkennen können, dass wir doch so viel mehr sind, als unsere Geschichten. Viel mehr als wir glauben zu sein. Das Unbegrenzte in uns; für das es keine Worte gibt. Dieses Wesen, das wir einst waren und wieder sein können, wäre doch Lebens-Sinn genug. Und das Einzige was wir dazu brauchen ist die Erinnerung an uns selbst.

Nun ja, ich danke Ihnen für die Zeit, die Sie investiert haben, um meinen Gedanken zu folgen und vielleicht ist es ja auch für Sie erstrebenswert im Herzen zu sein. Für uns ist es auf jeden Fall eine Reise mit allen Sinnen…                 Bis zum nächsten Mal und von Herz zu Herz … Marion Hötzel 

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Marion Hötzel, ZENtrum-Mondsee 2025

Gerne können Sie aus diesem Gedankenfluss schöpfen, und schön, wenn Sie auf die Quelle hinweisen. Herzlichen Dank!