Gehmeditation

Die Gehmeditation

 

Ein Text von Thich Nhat Hanh

Meditation im Gehen kann sehr genussreich sein. Allein oder mit Freunden bewegen wir uns langsam, wenn möglich an einem schönen Platz. Im Gehen meditieren heißt eigentlich, das Gehen zu genießen – kein Gehen, um anzukommen, sondern nur, um zu gehen.

Es hat keinen anderen Zweck, als im gegenwärtigen Moment zu sein, bewusst den Atem und das Gehen zu spüren und jeden Schritt zu genießen. Daher müssen wir alle Sorgen und Ängste abschütteln. Wir denken nicht an die Zukunft, denken nicht an die Vergangenheit und genießen einfach den gegenwärtigen Augenblick. Dabei können wir ein Kind an die Hand nehmen. Wir gehen, wir machen Schritte, als seien wir der glücklichste Mensch auf der Welt.


Wir gehen zwar die ganze Zeit, aber unser Gehen gleicht gewöhnlich mehr einem Rennen. Wenn wir so gehen, hinterlassen wir Spuren der Angst und des Kummers auf der Erde. Wir müssen auf eine Weise gehen, die nur Spuren des Friedens und der Klarheit auf der Erde hinterlässt. Wenn wir das wirklich wollen, sind wir auch dazu fähig. Jedes Kind kann es. Wenn wir einen Schritt auf diese Weise tun können, sind wir auch in der Lage, zwei, drei, vier und fünf zu gehen. Wenn es uns gelingt, einen Schritt friedvoll und glücklich zu tun, setzen wir uns für die Sache des Friedens und des Glücks der ganzen Menschheit ein.

Die Meditation im Gehen ist eine wunderbare Übung. Wenn wir draußen im Gehen meditieren, bewegen wir uns ein wenig langsamer als gewohnt und stimmen unseren Atem auf die Schritte ab. Wir können zum Beispiel bei jedem Einatmen drei Schritte tun und bei jedem Ausatmen auch. Wir können also sagen: »Ein, ein, ein. Aus, aus, aus.« »Ein« ist eine Hilfe, um das Einatmen zu benennen. Immer wenn wir etwas bei seinem Namen nennen, geben wir ihm mehr Wirklichkeit, so wie wenn wir den Namen eines Freundes aussprechen. Wenn unsere Lungen vier statt drei Schritte möchten, gewährst du ihnen bitte vier. Verlangen sie nur nach zwei, gibst du ihnen zwei Schritte. Einatmen und Ausatmen müssen nicht gleich lang sein. Du kannst beispielsweise bei jedem Einatmen drei Schritte tun und bei jedem Ausatmen vier. Wenn du dich beim Gehen glücklich, friedlich und froh fühlst, übst du richtig.

Nimm bewusst wahr, wie deine Füße die Erde berühren. Geh so, als würdest du die Erde mit deinen Füßen küssen. Wir haben der Erde viel Schaden zugefügt. Jetzt ist es an der Zeit für uns, gut für sie zu sorgen. Wir bringen unseren Frieden, unsere Ruhe auf die Oberfläche der Erde und erfahren gemeinsam, was die Liebe lehrt. Wir gehen in diesem Geist. Ab und zu, wenn wir etwas Schönes erblicken, möchten wir vielleicht stehen bleiben und es uns ansehen – einen Baum, eine Blüte, Kinder beim Spielen. Während wir schauen, bleiben wir weiter bei unserem Atem, weil uns sonst die schöne Blüte verloren geht und wir uns in unseren Gedanken verstricken.

Jeder Schritt, den wir tun, bringt einen kühlen Windhauch, der Körper und Geist erfrischt. Jeder Schritt lässt eine Blüte unter unseren Füßen aufleuchten. Das geht nur, wenn wir weder an die Zukunft noch an die Vergangenheit denken, wenn uns klar ist, dass das Leben nur im gegenwärtigen Moment zu finden ist.