Stille im Kopf – und was Schweigen noch bedeutet

Eine Betrachtung von Marion Hötzel 

Wie wir Bewusstsein verstehen.

 Schweigen wird immer populärer

Schweigekurse sind eine wunderbar heilsame Möglichkeit, den Geist zu entleeren. Neueste Forschungen bestätigen uns in unserem Anliegen, den Geist durch Schweigen zu beruhigen und vor allem aber auch unser Gehirn von Altlasten (durch Selbst- oder besser noch SEINS-Reflexion) zu befreien. Die meisten von uns haben vielleicht schon den ein oder anderen Schweigekurs erlebt und konnten diese Wohltat, wenn es STILLER wird, bereits erfahren. Nicht ohne Grund weisen alle Traditionen, sowie auch Meditationslehrer:innen der Neuzeit, darauf hin, dass das Schweigen neben der täglichen Praxis und den Reflexionen im Alltag, die 3. Säule der Meditations- und Achtsamkeitspraxis bedeutet.

„Stille ist deine wahre Natur. Doch was ist Stille?!
Stille ist ein innerer Raum von Bewusstsein, in dem Worte wahrgenommen und zu Gedanken werden. Ohne dieses Bewusstsein würde es keine Wahrnehmung, keine Gedanken, keine Welt geben. Und du bist dieses Bewusstsein in Gestalt deiner Person.“

Eckhart Tolle

 Doch was ist diese Stille? Ist es diese Wortlosigkeit, in der kein Reden mehr ist? Stille meint, einen ruhigen See in sich selbst wahrnehmen. Das Lärmende verstummen lassen, damit sich Stille in uns ausbreiten kann. Das wünschen wir uns letztlich alle und doch haben wir großen Respekt davor.

Von Außen nach Innen

Viele sagen: Still sein, das kann ich gut, da brauche ich sicher keinen Schweigekurs zu besuchen. Doch wenn wir dieses Stillsein hinterfragen, stellen wir schnell fest, dass wir uns mit vielerlei Dingen ablenken.

Da sind wir in Gedanken und Ideen, hören Musik und schauen TV (wenn es mit den Gedanken allzu mühsam wird), beschäftigen uns mit dem Handy und surfen Belanglosigkeiten im Internet, lesen und beschäftigen uns mit unseren Hobbys: wie malen, lesen, sporteln … auf jeden Fall, machen wir in den meisten Fällen doch irgendetwas.

Wir sind einer ständigen Beschäftigungsqual ausgesetzt. Unsere Gedanken überfallen uns gnadenlos und führen uns in die unglaublichsten Geschichten. Sie schaffen es sogar, uns in emotionale Ab- und Tiefgründe zu entführen und ohne dass wir dieses bewusst hinterfragen, glauben wir tatsächlich, sie seien real. Selbst im Schlaf denken und fantasieren wir weiter. Träume bewusst oder unbewusst verstricken uns ständig in neue Geschichten. So funktioniert in uns ein perfektes Perpetuum-Mobile und das kostet Kraft, es muss ständig genährt werden und führt ein bislang nie infrage gestelltes Dasein. Doch nur solange bis wir dahinterkommen, bis wir nicht alles glauben, was wir denken, bis wir bewusster werden.

So vergeuden wir mindestens 80 Prozent unserer Lebensenergie mit Denken. Tun so, als hätten wir auf ewig genug von dieser Energie zur Verfügung. Welch ein Irrtum! Die Vorstellung, dass wir nicht sind, was wir denken und dass der größte Teil unserer Gedanken sich selbst produziert, scheint uns unmöglich. So identifizieren wir uns ständig mit dem, was wir denken und tragischer noch, wir ziehen Schlussfolgerungen daraus. Dies ist zweifelsohne ein Leben in latentem Wahnsinn und nur weil es alle tun, wird es nicht normaler. Wir können täglich sehen, welche Auswirkungen das hat. Und rückblickend auf viele Phasen menschlicher Existenz, ist es ein bis heute unbewusster Prozess.

Dies alles sei die Normalität, denken wir! Im Außen wird uns von je her gespiegelt, wozu Menschen aus tiefsten Überzeugungen und Irrungen fähig sind. Überzeugungen, Wertevorstellungen, Ethik und Co. zeigen uns die ganze Bandbreite, von menschlicher Güte bis Grausamkeit, die je nach innerer Haltung und Bewusstsein, sichtbar werden kann. Der Mensch ist da sehr anfällig, und zwar in jede Richtung.

Doch kommen wir zurück zur Stille. Oder zuvor mal erst zur Ruhe, die zu erleben, so schwer auszuhalten ist, da diese Ruhe irgendwann als störend und sogar bedrohlich empfunden wird. Ja, so macht sie uns im Verlauf der Sitzmeditationen geradezu unruhig und zu weilen auch aggressiv. Unser Nervensystem ist ständig auf vollen Touren und einseitig auf Angriff oder Verteidigung, auf Vorsicht und Schnelligkeit, programmiert. So sind wir in Disbalance geraten, in einem dauerhaften und so Zusagen ständigem AUSSER UNS ZUSTAND.

Running Sushi

So nennen wir den modernen Menschen in seiner modernen Welt. In einer Zeit, in der es geradezu „IN“ ist keine Zeit zu haben, glauben wir an persönlicher Bedeutung und Wichtigkeit zu gewinnen, wenn wir ständig außer Atem sind. Doch das hat ganz sicher seinen Preis. In einer Online-Gesellschaft, in der persönliche Abgrenzung fehlt, wird es nur zwei Möglichkeiten geben.

Die Eine, ist eine Illusionäre-Scheinwelt, mit dem ständigen rennen nach Ablenkung und der Bestätigungssucht im Außen. Die Andere, ist eine nach INNEN gerichtete achtsam-wachsame Entwicklungsmöglichkeit, mit Entfaltung von Bewusstsein.  Mit der alten Kultur, das Schweigens, entdecken wir mutig unsere eigene Innenwelt. Begegnen Bildern, Ideen und Vorstellungen, von denen wir bislang nicht wussten, dass diese in uns wirkten und beginnen zu verstehen, wer wir wirklich sind. Es beginnt eine Reise ins ICH -sein und Da-sein. Vielleicht der Beginn einer Liebesgeschichte. Mit wem? Das ist hier die Frage!

Eine Wohltat für Gehirn und Nervenkostüm

Den meisten fällt es anfangs schwer, sich selbst zu ertragen und auf die vielen Ablenkungsmöglichkeiten des Körpers nicht zu reagieren, der uns, mit Juckreiz und vielen anderen Phänomenen, an der Erfahrung der Stille hindert. Es gibt wunderbare aktive Meditationsformen, die es gestatten den Körper mal richtig durchzuschütteln, sodass wir in die Stillen-Phasen eintauchen können.

Neurophysiologisch hat dies einen ganz einfachen Grund. Stress an sich ist nicht schädlich, im Gegenteil, wir benötigen wir ihn sogar, um uns in Bewegung zu setzen, um zu gestalten, zu agieren, Dinge zu bewältigen und uns als Teil eines lebendigen Lebens zu erfahren.

Dies ist die Aufgabe des sympathischen Nervensystems, die Seite des Elans und der Bewegung. Das parasympathische Nervensystem ist hingegen die ausgleichende Balance, die Seite der Inaktivität. Und genau diese Seite ist derzeit, bei den meisten von uns, unterversorgt. Schweigekurse dienen demnach der Wiederherstellung dieser Balance, unseres vegetativen Nervensystems.

Schweigen und die Liebe zur Existenz

Stille und Meditation sind von je her gekoppelt und dennoch in ihrer Zugangsqualität unterschiedlich. In den Schweige-Retreats werden keine Mantren gesprochen, keine selbst zentrierende Werkzeuge eingesetzt, was ja in vielen Meditatonstraditionen der Fall ist.

Die Stille ist einfach nur die Stille, sie breitet sich allmählich in uns aus, bis sie unser Sein völlig erfasst und ausfüllt. Wir bleiben stets präsent. Voll und ganz anwesend untersuchen wir die verschiedensten Erscheinungsformen der Stille. Ihre Qualitäten, ihren unverwechselbaren Klang, ihre umhüllende Wärme, ihre klirrende Kälte, ihre unendliche Liebe.

Ein Schweigeretreat kann uns etwas zutiefst Religiöses entdecken lassen. Kann uns berührend in die Stille der Existenz begleiten und unsere eigene Spiritualität wird wahrnehmbar. Schweigen will erlernt werden. Es ist eine Art von Kultivierung oder auch Erziehung des Geistes zur Stille. Ein Fasten der Gedanken. Ein Reset im Kopf. Wir löschen unsere Festplatte und schaffen Raum für neue Kapazitäten.

Ein Entmüllen von alten und unbrauchbaren Erinnerungen, falscher Informationen, Irrläufern und überflüssigen Glaubenssätzen. So wie unser Körper manches Mal durch Viruserkrankungen gereinigt wird, reinigen wir mit der Kultivierung des Schweigens unseren Geist. Das Schweigen lädt nicht nur zur Selbsterkenntnis ein, sondern führt auch zur Erkenntnis des SEINS. Eines DA-Seins im Hier und Jetzt. Ein DA-Sein auf ZEIT.

Eine Schlussanmerkung

Ein Schweigen via Internet halten wir für Zeitverschwendung. Die dauerhafte Präsenz eines erfahrenen Lehrers, die lange Zeit der Schweigephasen und die formell freien Zeiten wie Hygienepausen, Essen und Trinken, unterliegen einer zuvor festgelegten Struktur. Diese Struktur macht es dem Verstand schwer, sich mit sich selbst zu beschäftigen und seine gewohnten Spielchen mit und uns zu spielen. Versierte Lehrer*innen erkennen diese inneren Spielchen sofort und unterbrechen sie auf eine Weise, die es dem Klienten ermöglicht zu erkennen, wie der Verstand funktioniert.

Das alles geschieht im Schweigen und ist einzig auf Erkennen und Wahrnehmen angelegt. In einem Onlinekurs, der Pausen hat, in denen die Teilnehmenden in ihrem gewohnten Umfeld, gewohnte Dinge tun, ist in keiner Weise das, was wir unter einer prozessorientierten Selbsterfahrungsarbeit verstehen.  Hier handelt es sich um eine Heranführung an formelle Stillezeiten, die sicher auch ihre Wohltaten in uns haben. Doch ein Schweigekurs ist es nicht.

Wir weisen deshalb so unmissverständlich darauf hin, weil es nicht die Zeit ist, sich für weitere illusionäre Welten zu öffnen und sich in ihnen zu verstricken, sondern es ist an der Zeit, die Augen zu öffnen, um sehen, was JETZT ist. Was ist. Wir freuen uns, wenn Sie sich zutrauen wach zu werden, Ihre Augen zu öffnen und sich von der Schönheit Ihres Daseins, erbarmen zu lassen.

Und ganz nach dem Motto von Loriot (Vicco von Bülow) … ich wil einfach nur sitzen … laden wir Sie ein, mal nur zu Sitzen.

 

COPYRIGTH

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Vielen Dank! Marion Hötzel